• Großbritannien | Great Britain
  • Spanien | Spain
  • Frankreich | France
  • Portugal | Portugal
  • Italien | Italy
  • Griechenland | Greece

Internationaler Warenkauf: UN-Kaufrecht schließt Direktansprüche in der Lieferkette nicht aus

von Gordian Deger

Mit zwei Urteilen nimmt der französische Kassationsgerichtshof zum Verhältnis zwischen dem Direktanspruch des französischen Rechts (sog. action directe) und dem UN-Kaufrecht Stellung (Urteile vom 16.01.2019, Az. 17-21.477 und vom 03.10.2018, Az. 17-10090). Zahlreiche Fragen bleiben jedoch offen.

Das französische Recht kennt im Rahmen von Lieferketten einen Direkt- bzw. Durchgriffsanspruch des Letzterwerbers gegen jeden der vorgelagerten Lieferanten in der Lieferkette. Diese von der Rechtsprechung entwickelte action directe ist nach französischem Rechtsverständnis vertraglicher Natur und basiert auf der Annahme, dass die Gewährleistungsansprüche des Ersterwerbers mit dem Eigentum an der Sache bei ihrer Weiterveräußerung auf den Nacherwerber übergehen. Nach der französischen Rechtsprechung wandert der Gewährleistungsanspruch des Erstkäufers mit der Sache in der Lieferkette bis hin zum Endverbraucher. Der Direktanspruch kann sich grundsätzlich auch gegen einen ausländischen Hersteller oder Importeur der mangelhaften Ware richten.

Nach der früheren Rechtsprechung des französischen Kassationsgerichtshofes war ein Direktanspruch des Letzterwerbers gegen einen ausländischen Hersteller grundsätzlich ausgeschlossen, falls der zwischen dem Hersteller und dem Erstkäufer geschlossene Kaufvertrag dem UN-Kaufrecht (CISG) unterlag (vgl. frz. Kassationsgerichtshof, 5. Januar 1999, Az. 96-19.992). In jüngerer Zeit waren allerdings mehrere instanzgerichtliche Urteile ergangen, wonach die Geltung des UN-Kaufrechts für den ersten Vertrag der Lieferkette einen Direktanspruch gegen einen im Ausland ansässigen Hersteller nicht ausschließt (vgl. Berufungsgericht Rennes, Urt. v. 12.05.2016, Az. 13/00989; Berufungsgericht Limoges, Urt. v. 21.02.2017, Az. 16/00318; Berufungsgericht Paris, Urt. v. 21.06.2017, Az. 15/16557). Es war angesichts dieser Entwicklung fraglich, ob das höchste französische Gericht seine bisherige Rechtsprechung beibehalten würde.

Mit seinem Urteil vom 03.10.2018 hat der Kassationsgerichtshof zunächst festgestellt, dass die möglichen Direktansprüche des Letzterwerbers gegen den ausländischen Hersteller nicht dem CISG unterliegen, da dieses Abkommen nur die Rechte und Pflichten der unmittelbaren Parteien eines internationalen Kaufvertrages regelt. Nicht vom CISG erfasst seien dagegen die Rechtsbeziehungen zwischen solchen Beteiligten der Lieferkette, die miteinander keinen Kaufvertrag geschlossen haben. Daher könne der Letzterwerber in der Lieferkette gegen den ausländischen Hersteller einen Direktanspruch nach französischem Recht wegen eines versteckten Mangels (Artikel 1641 ff. Code civil) geltend machen.

Mit Urteil vom 16.01.2019 bestätigte der Kassationsgerichtshof diese Neuausrichtung, ergänzte aber einen wichtigen Aspekt. Dem Urteil lag folgender Fall zugrunde: Ein Bauherr beauftragte ein Unternehmen mit der Ausführung von Dachdeckerarbeiten. Dieses bezog die verwendeten Dachplatten von einem Großhändler. Alle drei Unternehmen hatten ihren Sitz in Frankreich. Der Großhändler bezog die Dachplatten von einem Hersteller mit Sitz in Italien. Nachdem sich die Dachplatten als mangelhaft herausgestellt hatten, klagte der Dachdecker vor dem französischen Gericht der Hauptsache im Wege der Interventionsklage direkt gegen den italienischen Hersteller. Der Hersteller verteidigte sich damit, dass der zwischen ihm und dem Großhändler geschlossene Vertrag als internationaler Warenkauf dem CISG unterliege, was einen Direktanspruch des Dachdeckers ausschließe. Der Kassationsgerichtshof hat indes die von der Vorinstanz ausgesprochene Verurteilung betätigt und festgestellt, dass gemäß Artikel 7 Abs. 2 CISG solche Fragen, die vom CISG nicht geregelt werden, dem Recht unterliegen, welches nach den Regeln des internationalen Privatrechts anzuwenden ist. Das Berufungsgericht habe daher zu Recht angenommen, dass das CISG die Frage des Bestehens eines Direktanspruchs des Dachdeckers gegen den italienischen Hersteller nicht regle. Diese Frage unterliege daher dem französischen Recht, dessen Anwendbarkeit der Hersteller im Verfahren nicht bestritten habe. Nach französischem Recht bestehe ein Direktanspruch.

Diese beiden Urteile sind meines Erachtens nicht frei von Widersprüchen. Zwar mag es zutreffen, dass das CISG nicht darauf abzielt, Rechtsbeziehungen zwischen dem Verkäufer und Dritten, wie dem Letzterwerber der Lieferkette zu regeln. Allerdings widerspricht der Kassationsgerichtshof mit seiner Feststellung, der Direktanspruch gegen den Hersteller unterliege in diesem Fall unmittelbar den Artikeln 1641 ff. des französischen Zivilgesetzbuches, seiner eigenen Rechtsprechung, wonach der Direktanspruch der in der Lieferkette weitergereichten Gewährleistungsanspruchs der des Erstkäufers ist. Träfe dies zu, so müsste sich der Inhalt des Direktanspruchs nämlich nach dem CISG richten und nicht der Haftung des Verkäufers für versteckte Mängel des französischen Rechts entsprechen. Zudem müssten im Hinblick auf den Direktanspruch die Ausschlussfristen des CISG und nicht diejenigen des französischen Rechts zum Tragen kommen[1], da der Direktanspruch dem Letzterwerber nicht mehr Rechte verschaffen kann, als dem Erstkäufer zustehen.

Zum anderen übergehen beide Urteile (wie auch die Urteile der Vorinstanzen) die Frage, welches nationale Recht nach den Regeln des internationalen Privatrechts neben dem CISG auf den Erstkaufvertrag zur Anwendung kommt. Wie sich aus den Urteilen ergibt, hatte der italienische Hersteller in beiden Fällen seine Ware ohne schriftlichen Vertrag an einen Großhändler in Frankreich verkauft. In Ermangelung einer Rechtswahlklausel zwischen den Parteien hätte neben dem CISG gemäß Artikel 4 (1) lit. a) der Rom-I-Verordnung jedoch das italienische Recht angewendet werden müssen, welches keinen Direktanspruch in der Lieferkette kennt. Die französischen Gerichte scheinen hier kurzerhand das französische Recht angewendet zu haben, offenbar, weil der italienische Hersteller es versäumt hat, sich in den Verfahren auf die subsidiäre Geltung des italienischen Rechts zu berufen[2].

Trotz der zuvor aufgezeigten Unklarheiten muss die neue Rechtsprechung des Kassationsgerichtshofes meines Erachtens wohl so verstanden werden, dass die Frage, ob einem Dritten gegen den Hersteller Direktansprüche zu-stehen, nicht vom CISG erfasst ist und daher anhand des subsidiär anwendbaren, nationalen Rechts zu beantworten ist. Kommt subsidiär französisches Recht zur Anwendung, so besteht grundsätzlich ein Direktanspruch, kommt ein Recht zur Anwendung, welches keine action directe kennt, so scheidet ein Direktanspruch aus.

Von diesem Verständnis der Urteile des Kassationsgerichtshofes ausgehend wäre es meines Erachtens folgerichtig, zu schließen, dass der Direktanspruch des Letzterwerbers gegen den ausländischen Hersteller auch dann ausgeschlossen ist, wenn der erste Kaufvertrag der Lieferkette gar nicht dem CISG unterliegt, sondern unmittelbar einem nationalen Recht, das keinen Direktanspruch kennt (z. B. dem deutschen Recht). Es wäre im Sinne der Rechtsklarheit wünschenswert, wenn der Kassationsgerichtshof dies in einem künftigen Urteil klarstellen würde.

Praxistipps

  • Die neue französische Rechtsprechung erhöht das Risiko für deutsche Exporteure, im Wege des Direktanspruches nach französischem Recht in Anspruch genommen zu werden. Sie sollten darauf achten, dass Ihre Verträge eine wirksame Rechtswahlklausel zugunsten des deutschen Rechts, vorsichtshalber ohne Ausschluss des UN-Kaufrechts enthalten.
  • Darüber hinaus sollte der Exporteur den Umfang seiner Gewährleistungsansprüche vertraglich möglichst begrenzen und kurze Verjährungs- und Ausschlussfristen vereinbaren.
  • Versäumen Sie es nicht, sich vor französischen Gerichten auf das (gegebenenfalls subsidiär) anwendbare, deutsche Recht zu berufen. Andernfalls ist das Gericht trotz eines offenkundigen Auslandbezuges nicht dazu verpflichtet, das anwendbare Recht selbst zu bestimmen und könnte dann, etwa aus Gründen der Bequemlichkeit, das französische Recht anwenden.

[1] Das Berufungsgericht hatte jedoch die Ausschlussfrist des Artikels 1648 Code civil angewendet.

[2] Während die deutschen Gerichte das Internationale Privatrecht von Amts wegen beachten, ist dies in Frankreich anders, selbst wenn es sich um unionsrechtliche Kollisionsnormen handelt, vgl. CANIVET und HUGLO. L'obligation du juge judiciaire national d'appliquer d'office le droit communautaire au regard des arrêts Jeroen Van Schijndel et Peterbroeck, Europe, April 1996, Chron. 4, S. 1-4.

Autor:

Gordian Deger, LL.M. (Köln/Paris), Partner/Associé, Rechtsanwalt/Mediator

Kontakt:

Kanzlei
Qivive Avocats Rechtsanwälte
Dr. Christophe Kühl
Konrad-Adenauer-Ufer 71
50668 Köln

Tel: 0221 139 96 96 0
E-Mail: kuehl@qivive.com
Internet: www.qivive.com

Standort Paris
50, Avenue Marceau, 75008 Paris
Tel: +33 1 81 51 65 58
E-Mail: paris@qivive.com

Standort Lyon
10-12 boulevard Vivier Merle, 69003 Lyon
Tel: +33 4 27 46 51 50
E-Mail: lyon@qivive.com

Bildquelle: © Photo by Willian West on Unsplash

Zurück

Kommentare

Kommentar von Peter Scheller |

Es sind im internationalen Transportrecht aktuelle Entwicklungen zu beachten:

- Ab 2020 gelten die neuen Incoterms 2020 (veröffentlicht von der International Chamber of Commerce). Hierüber werden wir berichten.
- Für Unternehmen mit internationalem Warenverkehr werden sich im Bereich Zoll- und Umsatzsteuerrecht viele Dinge ändern, sobald der Brexit erfolgt ist. Dabei wird es nur partiell darauf ankommen, ob es zu einem Deal- oder No Deal-Szenarion kommen wird (siehe auch https://scheller-international.com/blog-kategorien/category/grossbritannien-great-britain.html)

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 4 und 8.